Und mehr ist doch mehr. Ein kurzer Diskurs zur Rhetorik.
Haupstadtrethorik
Die Herkunft der Aussage „Weniger ist mehr“ wird einem der bedeutendsten Dichter der Aufklärung zugeschrieben: Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) Auf den ersten Blick handelt es sich um eine widersprüchliche Aussage oder ein so genanntes Pardoxon. In der Rhetorik wird eine solche Widersprüchlichkeit als Oxymoron bezeichnet. Dem Inhalt nach kann weniger ja gar nicht mehr sein. Weniger Kilo auf der Waage zum Beispiel sind und bleiben weniger Kilo auf der Waage. Und doch: Weniger Gift ist für den überlebenswilligen Menschen zweifelsfrei besser als mehr Gift. Demzufolge scheint es also auch eine korrekte Anwendung der Aussage „Weniger ist mehr“ zu geben.
Eindeutig ja. Aber man hüte sich vor dem verallgemeinernden Gebrauch.
Hilft mehr Charisma auch mehr?
Wie wir zum Beispiel gerade in der politischen Landschaft unseres Landes beobachten können, hat weniger kommunikatives Geschick weniger Wählerstimmen zu Folge. Schulz, Merkel und Konsorten sind traurige Beispiele für die Relevanz dieser Aussage. Weniger Ausstrahlung und Anziehungskraft der Verantwortlichen unserer ehemals großen Volksparteien beschert diesen eine kontinuierlich weniger werdende Anhängerschaft. Da keimt bei manchem die Hoffnung auf, dass weniger Anhänger zu mehr Einsicht und Erkenntnis bei den Verantwortlichen führen könnte. Die Praxis beweist das Gegenteil. Hilft mehr Charisma aber denn nun mehr? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es einer kurzen Betrachtung der Begrifflichkeit an sich. Charisma ist
- die Fähigkeit zu erkennen was gebraucht wird
- die Fertigkeit zu tun und sagen was gefragt ist
- und die Wahrhaftigkeit sich dabei selbst treu zu bleiben
Es handelt sich also um ein Phänomen, das primär in der zwischenmenschlichen Begegnung entsteht. Es geht um die Wirkungs- und Wahrnehmungs-Kompetenz von Menschen. Das schließt übrigens auch die Selbstwahrnehmungs-Kompetenz und in deren Folge das Vermögen der kritischen Selbst-Reflektion mit ein. Eine Qualität, die vielen unserer Politiker abhanden gekommen zu sein scheint.
Die Dosis macht’s
Ganz anders hingegen deren Österreichisches Pendent: Sebastian Kurz. Seit dem 18. September 2017 ist dieser 31 Jahre junge Mann Kanzler der Alpenrepublik. Kurz vorher, am 01. Juli 2017 wurde er mit 98,7% von den Mitgliedern der ÖVP zum Chef derselben gekürt. Dass Sebastian Kurz das geschafft hat, ist in erster Linie eine kommunikative und erst in zweiter Linie eine inhaltliche politische Leistung.
6Im deutschen Magazin Focus vom 14. Oktober 2017 (Titel: Charisma – Das Geheimnis der Ausstrahlung. Wie jeder lernen kann, andere in seinen Bann zu ziehen) hatte er es zwar noch nicht mit einem Foto auf die Titelseite neben Barack Obama, Willy Brandt, Papst Franziskus, Mick Jagger und anderen geschafft. Doch immerhin im Innenteil sieht man ihn dann neben vielen anderen prominenten Größen abgebildet und die Autorin des Artikels, Beate Strobel, lässt sich sogar zu der Aussage hinreißen „Charismatiker vom Schlage eines Sebastian Kurz kann allerdings nicht jeder werden.“ Zitat Ende. Also scheint in seinem Fall mehr Charisma auch mehr geholfen zu haben, wenn es sein erklärtes Karriereziel gewesen ist, Chef der Nation werden zu wollen.
„Weniger ist mehr“ wird gerne auch als Losung von Präsentationstrainern ausgegeben. Gemeint ist damit vielfach die Reduktion der in Powerpoint-Präsentationen immer noch weit verbreiteten Buchstabenwüsten auf die wichtigsten Kernaussagen, oder das Befreien von Zahlenkolonnen von unleserlicher 8-Punkt-kleiner Schrift und die Fokussierung auf einige wenige Schlüsselzahlen. So besehen scheint die Empfehlung „weniger ist mehr“ eine weitere Berechtigung zu finden. Was aber, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eben dieser Präsentationen geradezu versessen sind auf Bullshitpoint, Zahlenfriedhof & Co.?Rufen wir uns dazu die weiter oben angebotene Definition von Charisma noch einmal in Erinnerung, lässt sich aus dieser die Antwort auf die vorangegangene Frage ableiten: Wenn im Vorfeld erkannt wurde, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bevorstehenden Präsentation Zahlenkolonnen lieben, wird in der Präsentation getan und gesagt, was gefragt ist. Es werden Zahlenkolonnen gezeigt. Je mehr, desto besser. Denn es wird dem Informationsbedürfnis der entsprechenden Zielgruppe entsprechen. Und der Präsentierende tut gut daran, es seinen Teilnehmern recht zu machen. Es ist also auch nicht etwa grundsätzlich eine Frage der Dosis. Vielmehr geht es um Zielgruppenadäquanz. Wer tut was gefragt ist erreicht häufiger was gewollt war. Oder anders ausgedrückt:
Situative Interaktionskompetenz ist das Gebot der Stunde
Eine der typischen Beraterantworten auf gezielte und konkrete Fragen und von Kunden erbetene Handlungsempfehlungen lautet: Es kommt drauf an. Eine Antwort, die ich selbst übrigens auch gerne gebe, wenn Seminarteilnehmer wissen wollen, ob sie ihre Präsentrationen grundsätzlich interaktiv gestalten und viele Fragen einbauen sollen. Es kommt drauf an. Denn wer nie fragt, trifft nie den Nerv. Wer aber zu viel fragt, nervt. Also doch alles nur eine Frage der Dosis? Wenn die Dosis von der Zielgruppe abhängig gemacht wird, ist sie zweifelsfrei eine hilfreiche Zutat. Hinzu kommen aber auch noch die gründliche Vorbereitung auf die Teilnehmerschaft oder Gesprächspartner, die Ausrichtung und Abstimmung auf die im Rahmen der Vorbereitung gewonnen Einsichten und Erkenntnisse, die Substanz und Klarheit der eigenen Gedanken, die Redlichkeit der Absichten sowie eine ansprechende linguale und tonale Stärke gepaart mit nonverbaler Überzeugungskraft. Aus diesen Ingredienzien ist die Mixtur bereitet, dank der Menschen als charismatisch erlebt werden. Weil sie Bedürfnisse und Wünsche, ansprechen und befriedigen. Ähnlich wie es vermutlich seinerzeit Christoph Martin Wieland als Dichter der Aufklärung gelungen sein muss, eine tiefe Sehnsucht der Menschen anzusprechen und so die Aufklärung voranzutreiben. Von dieser Kompetenz kann man nicht genug haben. Insofern ist zumindest in diesem Kontext mehr eben doch mehr. Und wenn Sie mehr für Ihre Rhetorik-Kompetenz tun wollen, empfehle ich Ihnen mein Seminar Rhetorisch richtig wirksam. Aus gegebenem Anlass steht dieses zur Zeit ausschließlich als virtuelle Weiterbildung zur Verfügung.
Lieber Andreas, es ist immer wieder eine Freude mehr von Dir zu lesen besser hören.
Schöne Grüße aus dem TGV auf der Fahrt von Paris, Rainer
Worte sind die mächtigste Droge, welche die Menschheit benutzt.
Joseph Rudyard Kipling