„Die echten Führer haben nie Charisma.“

Unsinn, Herr Malik?

Zitat Fredmund Malik: „Die echten Führer haben nie Charisma.“ Der von Medien gern als Management-Guru titulierte Lehrer der Management Hochschule St. Gallen schreibt in seiner am 12. Februar 2002 im Manager Magazin veröffentlichten Kolumne: „ Dass es nicht mehr genügt, wenn Manager anständig lesen und schreiben können, ist klar. Muss man aber deswegen gleich ins andere Extrem fallen? Irgendwie ist die Vorstellung in die Welt gekommen, Manager, insbesondere jene an der Spitze von Großkonzernen, müssten eine Mischung aus Albert Einstein, Alexander dem Grossen und Thomas Gottschalk sein – Universalgenies … Man hat ja gelernt, in Zusammenhang mit Management viel Unsinn zu tolerieren. Nun aber auch noch Charisma. Damit wird der Unsinn gefährlich. Sollte man nach all den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts nicht etwas vorsichtiger sein und vielleicht doch denken, bevor man redet. War nicht gerade das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der charismatischen Leader – und hießen sie nicht Hitler, Stalin und Mao?“ Zitate Ende.

Der „Binzer-Kreis“ hat den Versuch einer Kategorisierung des Phänomens Charisma nach moralischen Clustern unternommen. Dazu hat er charismatische Eigenschaften sozial verträglichen und unverträglichen Kategorien zugeordnet. Um jeweils drei je Kategorie zu nennen: Im Bereich unverträglich treffen wir auf Beschreibungen wie „fanatisch“, „dogmatisch“ und „demagogisch“. Ziel dieser und zahlreicher weiterer Eigenschaften ist es, Menschen zu verführen. Im Bereich sozialverträglich begegnen wir Eigenschaften wie „leidenschaftlich“, „visionär“ und „wortgewaltig“. Ziel dieser Eigenschaften ist es, Menschen zu gewinnen.

Malik weiter: „Fast immer haben charismatische Führer Katastrophen bewirkt.“ Zitat Ende. Dem kritischen Leser stellt sich die Frage, was die Absicht hinter dieser Aussage ist? Unumstritten ist, dass es in der Geschichte der Menschheit zahlreiche charismatische Persönlichkeiten gegeben hat, die ihre Ausstrahlung tatsächlich für Ziele eingesetzt haben, die alles andere als moralisch akzeptierbar gewesen sind. Aber ebenso viele Beispiele existieren im Lager des ethisch Respekatblen. Denken wir nur an Mutter Teresa, Mahatma Gandhi oder Dr. Martin Luther King.

Apotheker sind ja nicht automatisch auch Giftmischer.

So Fredmund Malik. „Sie führen durch Selbstdisziplin und durch Beispiel, nicht durch große Slogans und Hurra-Geschrei. Nicht Charisma ist ihr Kapital, sondern Vertrauen.“ Zitat Ende. Das schreibt einer, der neben seiner wissenschaftlichen Expertise und fachlichen Kompetenz nach übereinstimmender Meinung zahlreicher Stimmen aus seinem unmittelbaren und mittelbaren Umfeld vor allem auch durch sein persönliches Charisma zum guten Ruf der Managementhochschule St. Gallen beigetragen hat.

Ein letztes Mal sei in diesem Beitrag Fredmund Malik zitiert: „ Die Wirkung von Charisma auf die Menschen will ich nicht bestreiten. Aber gerade deshalb ist nicht entscheidend, ob wir geführt werden, sondern wohin. Charismatische Führer sind gefährlich, weil sie sich nicht an Spielregeln halten; sie sind unberechenbar; sie glauben, das Universum unter Kontrolle zu haben; sie verfolgen Utopien; sie sind überzeugt, in allem Recht zu haben, werden rigide und sind daher recht bald auf der falschen Spur. Sie sind keine Führer, sondern Verführer.“

Dem füge ich hinzu: Ja, Missbrauch ist möglich. Und er ist auch zahlreich geschehen. Zugleich gibt es aber auch ebenso viele Beispiele für charismatische Führer, die Gutes bewirkt haben. Ich halte Malik’s Einlassungen für einseitig und kann seine Ablehnung gegenüber dem Ruf nach charismatischen Führungspersönlichkeiten sachlich nicht nachvollziehen.

Als Ergebnis meiner mittlerweile über zwei Jahrzehnte währenden Beschäftigung mit dem Phänomen Charisma habe ich mehrfach die folgende Definition veröffentlicht: „Charisma ist die Fähigkeit, zu erkennen was gebraucht wird, die Fertigkeit zu tun und zu sagen was gefragt ist und die Wahrhaftigkeit, sich dabei selbst treu zu bleiben.“

Für Hurra-Geschrei, Unberechenbarkeit, Rechthaberei und ähnliche Verhaltensmuster ist da nur bedingt Platz. Meiner Einschätzung nach macht erst die Kombination aus Selbstdisziplin, Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit, Vertrauen, Wortgewalt, Körperbeherrschung, tonaler Kompetenz, klaren und redlichen Ideen, Überlegtheit, rhetorischer Brillanz, Einführungsvermögen, Hingabe, Zuwendung und vielen anderen mehr eine Person zu einer charismatischen Persönlichkeit. Und selbst dann bleibt immer noch offen, ob die entsprechende Persönlichkeit diese Kompetenzen sozial verträglich oder eben unverträglich einsetzt. Malik’s Ausführung aber, dass charismatische Führer grundsätzlich ein Risiko darstellen, halte ich schlichtweg für unredlich. Das wäre so, als ob jeder Apotheker eine Gefahr für die Menschheit ist, weil er über die Kompetenz verfügt die Dosierung von Medikamenten zu bestimmen und deshalb automatisch zum Giftmischer abgestempelt werden muß.

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