In der Kürze liegt die Würze

In der Kürze liegt die Würze

Gilt das auch für Instagram, TikTok, X und Co.?

Seit Erscheinen von Trainerkarriere 2.0 haben die meisten meiner Mitautorinnen und Mitautoren mindestens auf einem der Social-Media-Kanäle ihre Freude über und den Stolz auf ihre Mitwirkung gepostet. Dem will ich heute endlich folgen. Doch ich schreibe mit zwei Seelen in der Brust. Die eine ist erfreut und zufrieden, während die andere Nachdenklichkeit, wenn nicht gar Sorge in sich trägt.Danke dafür, dass ich nun schon zum zweiten Mal meinen Beitrag zu diesem Gemeinschaftsprojekt wunderbarer Kolleginnen und Kollegen, dem BDVT und dem  Gabal-Verlag leisten durfte. Auch mich erfüllt es mit Freude und Stolz, Teil dieser illustren Expertenrunden gewesen sein und sein zu dürfen.

Halte ich dann aber die beiden Ausgaben nebeneinander beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Waren es 2002 noch insgesamt 461 als Hardcover publizierte Seiten, die immerhin 1.570 Gramm auf die Waage brachten, sind es 2025 lediglich 199 Taschenbuch-Seiten, die mit 386 Gramm kaum noch ins Gewicht fallen.

Was ist passiert in diesen 23 Jahren zwischen den beiden Veröffentlichungen? Hat es der Trainer- und Berater-Zunft die Sprache verschlagen, fehlen uns die Worte? Höre ich mir die Sprachnachrichten an, die mich regelmäßig von Kolleginnen und Kollegen via WhatsApp erreichen (und erst recht jene, die ich selbst an andere versende) beantworte ich diese Fragen mit einem klaren Nein. An Buchstaben mangelt es nicht. Da wird munter drauf los geplappert. Eine der besonders häufig verwendeten Kürzungs- und Entschuldigungsversuche ist dann der Einschub: To make a long story short. Vergeblich hofft man, dass jetzt gleich noch kurz die Kernbotschaft folge und dann Schluss sein möge. Doch nichts ist. Es geht munter weiter und wird noch länger und länger und länger. Unter einer Minute ist da selten was zu hören.


Was aber dann ist der Grund für diese Kürzung des Umfangs von der Trainerkarriere 2002 zur Trainerkarriere 2.0 in 2025 auf weniger als die Hälfte? Ist der Verlagsbranche der unternehmerische Mut abhandengekommen? Zwicken die Kosten?  Macht wirtschaftlicher Druck eine Risiko-Chancen-Abwägung zum obersten Kriterium bei der Entscheidungs-findung? Verdrängt sie den visionären Glauben an die Relevanz und den Nutzen eines Buches auf die hintersten Plätze?

Oder ist es einfach nur ein Zeichen der Zeit und Spiegel der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung? Die „Wochenzeitung Zeit“ titelte in ihrer Ausgabe No. 18 vom 30. April:Ein Land verlernt das Lesen.

Die Ergebnisse unterschiedlicher Untersuchungen und Studien weisen alle in die gleiche Richtung. Laut Pisa-Studie von 2022  gab nur noch jeder zweite Neuntklässer an, zum Vergnügen zu lesen. 15 Jahre zuvor waren es noch fast zwei Drittel. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt das Allensbach-Institut, das einmal im Jahr das Leseverhalten verschiedener Bevölkerungsgruppen untersucht. 2002 lasen 43 Prozent der Studierenden täglich. 2024 waren es nur noch 17 Prozent. Demgegenüber verbringen die Studierenden täglich durchschnittlich 3,5 Stunden vor den Bildschirmen ihrer Smartphones. (Quelle: Statista 2023)

Verderben uns Smartphones und die auf Facebook, Instagram, X und TikTok sicht-, hör- und lesbaren Pseudo-, Fake- Drama- und Selbstinszenierungs-News die Lust am Lesen? Oder schlimmer noch: Verkümmern unsere diesbezüglichen Fähigkeiten als Folge des Kurznachrichten-Dauerfeuers?

Zitat aus dem o.g. Zeit-Artikel: „Tatsächlich verdichten sich die Belege dafür, dass Smartphones der Konzentration und Aufmerksamkeitsspanne – und damit den Grundlagen des Lesens schaden. Kognitionsforscher Christian Montag, der die Auswirkungen der Digitalisierung auf unser Denken erforscht, sagt: „Wir wissen mittlerweile, dass eine exzessive Smartphone Nutzung mit schlechteren akademischen Leistungen und mit weniger Volumen in manchen Bereichen des Gehirns korreliert (…) Weitgehend belegt ist, dass Literatur Empathie verstärkt, weil man lesend lernt, sich in andere hinzuversetzen (…) Nur wer vielgelesen habe und so einen Wissensschatz aufbaue, könne neue Informationen einordnen, Zusammenhänge kritisch bewerten und Probleme lösen, schreibt die Leseforscherin Maryanne Wolf. (…) Die Kompetenz zum kritischen Lesen ist heute nötiger, als jemals zuvor.“ Zitat Ende

Der berühmte Architekt der Bauhaus-Ära Ludwig Mies van der Rohe hat aus seiner Sicht und mit der These „Weniger ist mehr“ bezogen auf Design sicher gute Gründe für diese und das damit verbundene minimalistische Konzept gehabt. Lässt sich das aber auch übertragen auf Beiträge in Social-Media-Netzwerken? Je weniger inhaltliche Substanz ein Beitrag hat, desto mehr Menschen schauen ihn an und teilen ihn womöglich auch noch, so mein Eindruck. Von den berühmten Ausnahmen mal abgesehen.

Doch spätestens bei der monatlichen Gehaltszahlung wird jede Lohnempfängerin, jeder Lohnempfänger widersprechen. Schließlich ist weniger Gehalt weniger Gehalt und nicht mehr. Und weniger Inhalt ist ebenfalls nicht mehr, sondern weniger Inhalt. Zwar mag es das Belohnungssystem in unserem Gehirn stimulieren, wenn wir uns in rasant aufeinanderfolgenden Videoclips von den Missgeschicken anderer Menschen erheitert oder entsetzt fühlen. Was außer Ablenkung bleibt aber nach einer halben Stunde TikTok? Wer rafft sich jetzt noch auf und wählt den Weg zu einem dicken Wälzer? Zuviel Glücksgefühl macht müde. Und Müdigkeit schwächt die Konzentration.

Dabei sind es gerade die längeren Texte, die Bildung und damit auch Meinungsbildung auf ein solideres Fundament stellen helfen würden. Wer viel liest, wird eher viel lernen. Wer viel gelernt hat, wird das Erlernte und sein Wissen auch eher teilen und verbreiten können.

Zurück zum eigentlichen Anlass dieses Beitrags: Zur Trainerkarriere 2.0: Wäre es angesichts der v.g. Sachverhalts für uns als in der Weiterbildung engagierte Trainer, Coaches und Berater nicht Pflicht gewesen, uns der Kürzung des Umfangs zu widersetzen und darauf zu bestehen, längere Beiträge zu schreiben?

„Verehrteste, ich habe keine Zeit, Ihnen einen kurzen Brief zu schreiben, drum schreib ich einen langen“ soll der junge Goethe einer von ihm Angebeteten seinerzeit geschrieben haben. Wusste er, wovon er schrieb? Ist es wirklich um ein Vielfaches schwieriger, in wenigen Sätzen zum Punkt zu kommen, als in einem längeren Gedankengang und Text  etwas Wesentliches oder Substanzielles herauszuarbeiten?

Als 2025 Verlag und Herausgeber der Trainerkarriere 2.0 den Autorinnen und Autoren vorschrieben, jeder Beitrag dürfe nur maximal 6 Seiten umfassen, wollte ich zunächst meine Bereitschaft zur Mitwirkung zurückziehen. Ich hielt es für schier unmöglich,
die 13 Seiten aus dem Jahr 2002 auf 6 Seiten in 2025 zu kürzen. Zwei Versuche schlugen dann auch fehl. Anstelle dessen entstanden auf Basis des „alten Textes“ neue Gedanken und Impulse zum Thema „Der Königsweg an die Trainingsspitze“.  Es ist ein Beitrag geworden, von dem ich hoffe, dass seine Leser*innen ihn trotz oder vielleicht gerade wegen der Reduktion auf 6 Seiten als einen Impuls empfinden, der ihnen in konzentrierter und komprimierter Form gehaltvollen Nutzen stiftet.

Gedanken verdichten und inhaltlich zum Punkt kommen zu können, setzt meiner Meinung nach voraus, dass man sich vorher länger Gedanken gemacht und ein Thema gründlich durchdrungen hat. Chat GPT, Perplexity oder andere KI-tools mögen in der Phase der Recherche nützliche Assistenten sein.

Doch erst der kreative und intuitive menschliche Geist kann auf Basis des Recherchierten einen wirklich originären, einzigartigen und für seinen individuellen Gedanken- und Schreib-Stil typischen Text verfassen. Mag auch manches Mal in der Kürze die Würze liegen. Wirklich möglich ist sie erst nach einer intensiven Beschäftigung und einem langen Prozess der inhaltlichen Auseinandersetzung. Davon wünschte man sich deutlich mehr auf Instagram, X und TikTok, oder?

Wie schön, dass Du/Sie meinen Text bis hierhin gelesen hast/haben. Er ist jetzt doch ein bisschen länger geworden. Vielleicht, weil ich im Sinne Goethes keine Zeit für einen kurzen hatte? Ich möchte gerne herausfinden, wie viele Menschen diesen längeren Text lesen und vielleicht sogar kommentieren. Und ich würde gerne wissen wollen, wie viele Menschen die Ansicht teilen, dass die Menschen in unserem Land das Lesen verlernen und wir deshalb mehr längere Texte schreiben müssen.

To make a long story short: Danke, dass ich 2002 zur von Hans A. Hey herausgegebenen Trainerkarriere einen langen Text beitragen durfte. Und einen ebensolchen Dank dafür,  2025 zur Trainerkarriere 2.0 (Hrsg. Jennifer Frank-Schagerl und Henrik Trenkel) eine kurze Fassung schreiben zu müssen.

Related Articles

Responses

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

  1. Lieber Andreas, mit viel Freude und Anregung habe ich am Feiertag deinen Blog gelesen und kann jedes Wort unterstreichen, fett oder auch kursiv markieren. Danke für die Inspiration darüber nachzudenken.

  2. Lieber Andreas, als Fan von Dir ist es mir eine Freude jeden Deiner Beiträge die mir begegnen, zu lesen. Auch wenn nicht immer von Relevanz für mich, so lerne ich immer noch gerne von Dir. Kurzum , „Einmal Meister – immer Meister“ ☺️