Gegenrede zum Gastbeitrag Charisma und Charme…

Danke an Uwe Günter von Pritzbuer

…von Uwe Günter-von Pritzbuer. Zunächst danke ich auch an dieser Stelle noch einmal für den Gastbeitrag des SCIL Master  Uwe Günter-von Pritzbuer. Danke vor allem auch deshalb, weil darin der aus meiner Sicht ausgesprochen sinnvolle Versuch unternommen wird, die beiden Begrifflichkeiten Charme und Charisma einerseits zu definieren und andererseits voneinander abzugrenzen. Insofern habe ich ihn gerne veröffentlicht.

Gleichwohl widersprechen einige Textpassagen so grundlegend bisherigen Erkenntnissen unserer Charisma-Forschung –und im übrigen auch meiner persönlichen Auffassung-, dass dieser Beitrag nicht unkommentiert in meinem Blog stehen bleiben kann.

Charme und Charisma sind eine Frage der Distanz.

Prof. Dr. Jo Reicherts, Kommunikationswissenschaftler der Universität Duisburg-Essen, hat anhand zahlreicher Biographien berühmter Persönlichkeiten nachgewiesen, dass Charisma primär ein Phänomen der Distanz ist. Je näher man einer charismatischen Person kommt und je öfter man ihr begegnet, desto mehr verliert sie an Charisma. Charme hingegen ist eine Qualität, die sich primär in der Nähe entfaltet. Machen Sie selbst die Probe auf’s Exempel: Wieviel Prozent der Menschen, die Sie persönlich kennen, finden Sie charmant und wie viele charismatisch. Gegenprobe: Und wie viel Prozent derer, die Sie nur aus Büchern, aus den Medien oder von großen Bühnen kennen, bezeichnen Sie als charismatisch und wie viele als charmant? Für einen Verkäufer ist also gar nicht unbedingt erstrebenswert, Charisma zu entwickeln. Er braucht vielmehr die Nähe zum Kunden. Genau hier hilft Charme. Doch Vorsicht: „Charme macht sympathisch und attraktiv“, schreibt Uwe Günter-von Pritzbuer. Und weiter: „Charme öffnet Türen, die sonst verschlossen bleiben und reduziert Bedenken.“ Einverstanden. Aber Sympathie ist eine emotionale Qualität. Und nicht alle Kunden resonieren auf emotionale Aspekte. Deshalb ist Charme nur in solchen Begegnungen von Nutzen, in denen Charme vom Vis-à-Vis auch als eine gewinnende Qualität empfunden wird.

Der Authentizitäts-Mißbrauch

In seinem 2008 erschienenen Buch Mythos Authentizität führt der ehemalige Kienbaum-Manager Dr. Rainer Niermeyer aus, das sich die wenigsten Menschen Authentizität leisten können. Vor allem die nicht, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen oder an anderer Stelle Verantwortung für Menschen und Unternehmen haben. Niermeyer belegt dies an zahlreichen bekannten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Medien, Politik und Kultur. Niermeyer’s Ansicht zum Thema Authentizität lautet sinngemäß: Als Verkäufer oder Führungskraft können wir uns Authentizität gar nicht gestatten. Im Sonntag-Vormittag-Wohnwagen-Jogginganzug taucht der Vertriebschef sicher am Montag nicht bei seinem Finanz-Vorstand auf. Und von seiner Liebe zum Dauer-Campingplatz sollte er diesem vielleicht auch besser nicht erzählen. Da ist das Gespräch über die aktuellen Zahlen im dunkelgrauen Einreiher der Karriere sicher dienlicher. In welcher Rolle ist er aber nun authentisch? Laut Niermeyer geht es darum zu verstehen, welche Erwartungen mit welcher Rolle verknüpft sind und diesen Rollenerwartungen bestmöglich zu entsprechen. Und diese Meinung teile ich vollumfänglich. Deshalb widerspreche ich Uwe Günter-von Pritzbuer in zwei weiteren Punkten seines Beitrags:

Nummer 1: „Mangelnde Authentizität ist ein echter Genusskiller.“
Dem halte ich entgegen: Je perfekter ein Mensch die Rolle mit Leben ausfüllt, für die er sich zum Beispiel in der Familie, bei seinen Freunden oder im Beruf entschieden hat, desto größer der Genuss und die Freude an und über seine(r) Glaubwürdigkeit. Sollte Uwe Günter-von Pritzbuer mit Authentizität allerdings glaubwürdige Rollenverköperung gemeint haben, ziehe ich meinen Widerspruch augenblicklich zurück.

Nummer 2: „Charisma braucht Authentizität.“
Nach einer mittlerweile 30-jährigen Beschäftigung mit dem Phänomen Charisma
definieren wir es heute wie folgt: „Charisma ist die Fähigkeit zu erkennen, was gebraucht wird, zu tun, was gefragt ist und sich selbst dabei treu zu bleiben.“ Damit ist jedoch keineswegs gemeint, das man im originären Wortsinn von Authentizität echt und wahrhaftig bleibt. Gemeint ist, dass man der Vision und Rolle treu bleibt, der man sich verschrieben hat.

In der Arbeit unserer mittlerweile über fünfzig S.C.I.L.Master haben wir immer wieder festgestellt, dass Menschen bevorzugt danach rufen authentisch bleiben zu wollen, wenn wir sie herausfordern die Komfortzone zu verlassen. Die gute Nachricht ist: Sie müssen sie nicht verlassen. Sie dürfen bleiben, wo sie sind. Wie sie sind, wissen sie ohnehin nicht wirklich. Handelt es sich doch bei Wahrnehmung meist um eine Konstruktion. Also auch bei der Selbst-wahrnehmung. Die schlechte Nachricht: Charisma ist nur außerhalb der Komfortzone zu haben.

Was Charisma nicht ist

“Charisma ist nicht gottgegeben, vielmehr ist es die Summe aus Selbstbewusstsein, Energie, Überzeugungskraft, Sensus, Corpus, Intellektus, Lingua und Charme.“ schreibt Uwe Günter-von Pritzbuer in seinem Gastbeitrag. Auch dieser Aussage widerspreche ich. Zweifach.

Erstens: Sehr wohl glaube ich, das Charisma durchaus auch eine gottgegebene Dimension beinhaltet. In jedem Menschen wohnt ein göttlicher Funke, ein über das menschliche Fassungsvermögen hinausreichender „Bauplan“. Und dieser trägt vermutlich auch den Keim für Charisma in sich.

Zweitens: Charisma ist nicht die Summe aus Selbstbewusstsein, Energie, Überzeugungskraft, Sensus, Corpus, Intellektus, Lingua und Charme.

Charisma ist das Ergebnis einer Balance auf hohem Niveau in den Frequenzbereichen Sensus, Corpus, Intellektus und Lingua. Und diese Balance auf hohem Niveau befähigt einen Menschen manchmal selbstbewusst zu wirken, ein anderes Mal voller Überzeugungskraft aufzutreten, wieder ein anderes Mal Energie auszustrahlen und manchmal auch charmant zu wirken. Oder anders: Immer genau die Wirkung zu entfalten, die sie dank ihrer brillanten Wahrnehmung der Signale ihres Vis-à-Vis im jeweiligen Augenblick als zielführend identifiziert haben. Dabei will der Charismatiker nicht unbedingt immer nur gut ankommen. Er will auch abgrenzen, auf Distanz halten Widerstand provozieren und selbst widersprechen.

Letzteres habe ich hiermit getan. Und ich danke Uwe Günter-von Pritzbuer abschließend noch einmal für seinen Gastbeitrag und die für mich damit verbundene Inspiration und Motivation zur Gegenrede.

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  1. Kurzgedanken zu Charisma und Charme:

    Charisma und Charme sind Beschreibungen der Wahrnehmung und Wirkung von Fähigkeiten. Dabei bezieht sich Charisma auf die Fähigkeit einer Person, den Kontakt zu einer Gruppe (oder Masse) von Menschen zu gestalten. Charme hingegen bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, den Kontakt in der persönlichen Begegnung zu gestalten.

    Sind Charisma oder Charme “gottgegeben” oder erlernbar? Aus dem Blickwinkel der Fähigkeiten stellt sich die Frage nicht mehr. Natürlich gibt es unterschiedliche Voraussetzungen bei Menschen, die Fähigkeiten begrenzen können – das beschreibt die “gottgegebene” Komponente. Ebenfalls gesichert ist, dass Menschen eigene Fähigkeiten faszinierend hohem Maß entwickeln und ausbauen können, also erlernen.

  2. Zunächst: Die Unterscheidung von Charisma als Wirkungsphänomen auf eine Gruppe (Masse) und Charme in der persönlichen Begegnung finde ich interessant und bereichernd.

    Ich würde die Diskussion noch um den Begriff des “Charakters” erweitern, um die moralische Dimension zu gewinnen. Denn sowohl Charme als auch Charisma können zum Erfolg oder zum Ziel führen. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig positiv sein. Handeln Menschen ohne Charakter, hüllen sie sich in den Deckmantel des “Charisma”. Charisma kann einen Mangel an Charakter vertuschen, ein guter Charakter setzt – folgt man der Definition des Politikwissenschaftlers James Q. Wilson -zwei Dinge voraus: Empathie und Selbstkontrolle. Und da setzt die SCIL-Performance-Strategie an, bei der bewussten Selbstwahrnehmung und Steuerung der eigenen Wirkung.